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12.03.2025

Ursächlichkeit der Behinderung für die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt

Die steuerliche Behandlung von Kindergeldansprüchen für Kinder mit Behinderung ist eine komplexe und häufig streitanfällige Materie, insbesondere wenn es um die Frage geht, ob und in welchem Umfang eine Behinderung ursächlich für die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt ist.

Im hier entschiedenen Fall des Bundesfinanzhofs vom 30.1.2024, unter dem Aktenzeichen III R 42/22, wurde diese Frage hinsichtlich eines Kindes erörtert, das aufgrund einer schweren seelischen Behinderung in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht war.

Im konkreten Fall stritten die Mutter des Kindes und die Familienkasse über den Kindergeldanspruch für den Sohn der Klägerin, der seit seinem 14. Lebensjahr an einer schweren hebephrenen Schizophrenie leidet. Diese Erkrankung äußerte sich unter anderem in expansiv-aggressivem Verhalten und führte zu zahlreichen psychiatrischen Behandlungen und schließlich zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Die Familienkasse vertrat die Auffassung, dass der Sohn nicht aufgrund seiner Behinderung, sondern wegen der freiheitsentziehenden Maßnahme, die durch die von ihm begangenen rechtswidrigen Taten notwendig wurde, außerstande war, sich selbst zu unterhalten. Demgegenüber argumentierte die Klägerin, dass die Behinderung ihres Sohnes die Ursache sowohl für seine Unfähigkeit zur Selbstversorgung als auch für die Unterbringung war.

Der Bundesfinanzhof bestätigte das vorinstanzliche Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 26.10.2022 und wies die Revision der Familienkasse zurück. In seiner Begründung stellte das oberste Finanzgericht fest, dass für den Kindergeldanspruch gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) die erhebliche Mitursächlichkeit der Behinderung für die fehlende Fähigkeit zum Selbstunterhalt ausreichend ist. Diese Mitursächlichkeit entfällt nicht zwingend, wenn das Kind aufgrund einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus keiner bedarfsdeckenden Erwerbstätigkeit nachgehen kann. Entscheidend ist eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls, die vom Finanzgericht zu treffen ist. Im vorliegenden Fall hatte das Finanzgericht nachvollziehbar festgestellt, dass die psychische Erkrankung des Sohnes die wesentliche Ursache sowohl für die begangenen Taten als auch für die daraus resultierende Unterbringung war.

Der Bundesfinanzhof erläuterte, dass der Freiheitsentzug zwar ein gewichtiges Indiz darstellt, jedoch allein nicht ausreicht, um die Kausalität der Behinderung zu überlagern. Besonders hervorgehoben wurde, dass der Sohn aufgrund seiner Erkrankung schuldunfähig im Sinne von § 20 des Strafgesetzbuchs war und seine Steuerungsfähigkeit vollständig aufgehoben war. Die freiheitsentziehende Maßnahme diente in diesem Fall nicht der Ahndung eines vorwerfbaren Verhaltens, sondern war eine Schutzmaßnahme, die unmittelbar auf die krankheitsbedingte Gefährlichkeit des Kindes zurückzuführen war. In einem solchen Kontext liegt keine überholende Kausalität vor, welche die Behinderung als Ursache für die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt unbeachtlich machen könnte.

Zusammenfassend hat das oberste Finanzgericht daher entgegen der Meinung der Familienkasse klargestellt, dass die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 des Strafgesetzbuchs nicht per se die behinderungsbedingte Unfähigkeit zum Selbstunterhalt ausschließt. Entscheidend bleibt stets die erhebliche Mitursächlichkeit der Behinderung, die im Rahmen einer umfassenden Würdigung aller Einzelfallumstände zu prüfen ist.

BFH, Urteil vom 30.1.2024, III R 42/22